Dienstag, 30. August 2011

Die Geschichte Teil 41

23. Januar 1991. Landgericht Frankfurt. Die Verhandlung war ein Skandal. Kruse blieb bei seiner Notwehrgeschichte und niemand konnte ihm das Gegenteil beweisen. Trimmi wurde als aggressiv und gefährlich dargestellt, und als jemand, gegen den man sich nur mit dem Messer zur Wehr setzen konnte. "Körperverletzung mit Todesfolge", so hieß es auf einmal. Dazu kamen ein paar weitere Ungereimtheiten. Warum war die Staatsanwältin von einer anderen Strafkammer ? Warum hatte sie bis jetzt nur Wirtschaftsdelikte bearbeitet und wie kam es, dass dies ihr erster Fall von Todschlag war ? Und warum ging sie danach wieder zu ihren Wirtschaftsdelikten zurück ? Warum ging Frau Trimborns Anwalt nach dem Freispruch nicht in Revision ? Vielmehr warum zog er die Revision zurück und benachrichtigte Frau Trimborn nicht davon. Was zur Folge hatte, dass wichtige Einspruchsfristen nicht eingehalten werden konnten. Kruses Eltern betrieben ein privates Altenheim im Taunus und lebten in einer geräumigen 2,5 Millionen Immobilie. Konnte es eine Rolle gespielt haben, dass Scheuer (Anwalt von Kruse) ein bekannter Anwalt war und Kruses Familie über ungeheure finanzielle Mittel verfügte ?
Als Kruse schließlich mit den Worten "im Zweifel für den Angeklagten" freigesprochen wurde, brachen im Gerichtssaal Tumulte aus. Alle schrien durcheinander, Trimmis Vater brach zusammen und den grinsenden Kruse musste man durch einen Geheimgang in Sicherheit bringen. Sieben Monate hatte er in U-Haft gesessen, und für diese sieben Monate bekam er nun eine Entschädigung von 7000 Mark. Der Tumult im Gerichtssaal ging von allen Anwesenden aus, die sich über das Urteil lautstark empörten. Allen voran Trimmis ehemalige Kollegen und sein Chef. Interessant war die Tatsache, dass die Medien gerne solche Zwischenfälle an einem Namen festmachten. Außer Stephan war niemand von der Band bei der Abschlußverhandlung dabei gewesen. Natürlich hatte er sich aufgeregt, als das Urteil verkündet wurde. Für ihn und den Rest der Band war der Fall klar. Lieder mussten her und zwar dringend.
Eins für Trimmi

und eins für Kruse.

Einen Marathon von Schmerzen wollten sie ihm schicken, und das taten sie in Form eines Liedes. Nie wieder sollte Kruse ruhig schlafen können. Dieses Lied sollte ihn immer an das erinnern, was er getan hatte, sollte ihm nie endende Qualen bereiten. Mit Kruse waren sie noch lange nicht fertig.


Die Böhsen Onkelz waren entschlossener denn je, ihren Weg als Rockband fortzusetzen und alle Hürden zu nehmen, die man vor ihnen aufbauen würde. Dazu gehörte auch, dass sie über einen Indizierungsantrag des Kreisjugendamtes Saarlouis, der vorschlug, die "Es ist soweit" wegen Jugendgefährdung verbieten zu lassen, einfach nur lachten. Vor diesem Hintergrund, aus Schmerz, Trauer und Wut, in dieser Zeit, als Kevin anfing das H zu drücken, als der beste Freund tot und der Täter freigesprochen war, schrieb Stephan die Texte zum neuen Album. "Wir ham noch lange nicht genug" war die kompakte Antwort auf das erlittene Unrecht.
"Vom Himmel in die Hölle und von der Hölle ganz hinauf - Ein tiefer Fall nach unten und die Treppe wieder rauf." Solange, bis auch der Dämlichste begriffen hatte, dass die Böhsen Onkelz niemals aufgaben, bevor sie nicht alles gesagt hatten, was es zu sagen gab.
"Wir ham noch lange nicht genug . . ." war so nah an der Wahrheit der Onkelz, wie keines der vorherigen Alben. Jedes Lied hatte einen ganz persönlichen Hintergrund. So persönlich, dass die Band für jeden, der sie genau kannte, förmlich nackt da stand. Auch dieses Album wurde dem toten Trimmi gewidmet.
In "Zeig mir den Weg" versuchte Stephan seine Meinung über die Presse noch einmal genau zu umreißen. Dazu kam der typische "Wir sind die Geilsten"-Pathos, verpackt in eine Melodie, die so eingängig und treibend war, dass Bellaphon sich nicht weiter um die Werbung kümmern musste. Alles, was nach der "Es ist soweit" kam, waren Selbstläufer, die sofort nach der Veröffentlichung begeistert gekauft wurden.

". . . Licht und Schatten steh´n gemeinsam vor der Tür . . ." mit diesen Worten hatte Stephan unbewusst seine Psyche konkret charakterisiert. Stephan war Zwilling, wie er zweifacher nicht sein konnte. Seine Texte waren, je nach Betrachtungsweise und Ausgangspunkt, extrem verlogen oder extrem ehrlich, und genau das machte die Bewertung der Lieder durch die Öffentlichkeit so schwierig. Mit diesem Spielraum konnten die meisten Onkelzkritiker nichts anfangen. Sie projizierten ihre unbestätigten Vermutungen in diese Lieder hinein, bevor sie sie gehört hatten.
Die Böhsen Onkelz waren jetzt eine gefestigte Einheit. Unzertrennlich zusammengeschweißt durch gemeinsame Erlebnisse. Stephan war der Kopf und das Gehirn, der Antrieb und die Idee. Gonzo war Gliedmaßen und Virtuosität. Er stand unter einem Aufopferungszwang, der von ihm verlangte, sein ganzes Können zur Verfügung zu stellen, damit der Kopf sich ausdrücken konnte. Kevin war der Bauch, das Gedärm und die Eier. Er holte das Tier und die tief verborgenen Ängste herauf. Seine brutale Stimme und sein autoritäres Auftreten gaben dem Kopf Wirkung und Gestalt. Pe war das Herzstück und der Rhythmus, Auge des Orkans, Takt und Balance. Besonnen, verlässlich und souverän. So und nicht anders, setzte sich die Chemie der Onkelz zusammen.
Die Reaktionen der Fans und der Medien auf das neue Album waren gespalten. Begeisterung auf der einen Seite, Empörung und Verachtung auf der anderen. Nach wie vor gab es die Onkelzplatten nur in wenigen Läden zu kaufen. Der unausgesprochene Boykott der Musikindustrie gegenüber der Band sollte sich von nun an noch verschärfen.

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