Montag, 15. August 2011

Die Geschichte Teil 35 - Kevins Drogensucht beginnt

Wann genau und wer genau und warum plötzlich nichts mehr reichte und nichts mehr genug war, und wieso eines Tages Heroin auf dem Tisch lag, konnte sich niemand richtig erklären. "Solln wa mal was Braunes schnuppen ?" Ganz schnell wurde es gesagt, so dass man´s kaum verstand. Wie hart war eigentlich hart genug ?
Krankfurt am Main. Unübersehbare blutleere Generationen von Pushern vor dem Hauptbahnhof, als unmittelbarer Beweis dafür, dass die Drogenpolitik in Deutschland das allerletzte war. Wie oft hatte Kevin schon die Junkies auf der Kaiserstrasse gesehen ? Wenn sie sich auf der Treppe zur U-Bahn einen Druck setzten und anschließend dort rumsaßen oder -lagen, mit halbgeschlossenen Augen und eiternden Wunden an den entblößten Waden, während die Pumpe noch im Knöchel steckte. Irgendwie musste er es wohl auch "geil" gefunden haben. Weil es so dicht am Tod war wahrscheinlich. Weil es so tief am Boden war und so hart. Genau, weil es so hart war. Aber hart war Kevin nur zu Anfang, später wurde er immer weicher.

Einer der krasseren Besucher der "28" hatte also H angeschleppt und sprach darüber, als sei es nichts Besonderes. Logischerweise taten auch alle anderen so, als sei es nichts Besonderes. Die Zähne kriegten sie in der "28" sowieso nicht mehr auseinander, wegen all dem Koks und der Kieferknirrscherei danach. Also was "Braunes" lag auf dem Tisch, und, zugeknallt bis an die Schuppen, dachte keiner mehr an die Junkies vor dem Hauptbahnhof. Kevin zögerte nicht eine Sekunde. Er nahm, was ihm unter die Nase kam, und er nahm meistens doppelt. Während er einen Joint rollte, zog er eine Schiene Koks weg, die Auge ihm reichte und schluckte danach zur Sicherheit noch eine halbe Extacy. Nebenbei kippte er 5-6 Tequilla, 8 Bier und 11 Jägermeister und spätestens dann, war es auch schon wieder Zeit für die nächste Schiene. Dann schrie er die Geldscheine an, damit sie sich vor Schreck von alleine aufrollten. Und wo er gerade davon sprach, wo waren eigentlich die Pillen, und von dem Speed würde er auch noch etwas wollen, wenn noch was da war, und . . ."mach mal die Musik lauter" . . . Jede Platte volle Lautstärke und die Lieder immer nur kurz angespielt, weil sie zu "druff" waren, um sie ganz zu hören und das im Sommer, alle Fenster auf, draußen 25°, mitten in der Nacht, und ein Terrarium nach dem anderen wurde geöffnet, und Vogelspinnen, die sich auf dem Tisch bekämpften und dabei vorsichtig die Jägermeisterlachen umgingen, als handele es sich um Tümpel voller Giftmüll. Über leere zerbeulte Bierdosen und Kokaspiegel kletterten die Viecher und dazu die übelgelaunten Sandvipern, Susi die Schlange und der nervöse Riesentausendfüssler, den Kevin aus Kenia eingeschmuggelt hatte. Spätestens jetzt sagten auch die anderen : "O.K., Klar Alder" zu Heroin. Nicht alle, Gonzo und Pe waren nur noch selten in der 28 und hatten sich aus den harten Drogenexzessen rausgehalten. Als die Pillen immer mehr in den Vordergrund traten, als es nur noch darum ging, sich zuzuballern und man noch nicht einmal mehr lachen konnte, weil das Koks alle Gefühle eingefroren hatte, da klinkten sich Gonzo und Pe ganz lässig aus. Auch Auge und Trimmi waren vorsichtig. Sie lehnten es ab, das H überhaupt nur anzufassen. Weidner wäre nicht Weidner, wenn er es nicht wenigstens probieren würde. Schließlich würde Kevin es auch nehmen und zwischen Stephan und Kevin lief schon immer so etwas wie ein heimliches Härtner-Duell. Dreimal, im Verlauf zweier Monate, zog sich Stephan eine Nase H und beim dritten Mal spürte er bereits, wie sich jemand an seinem Verstand zu schaffen machte und jetzt drauf und dran war, ihm alle Entscheidungen aus der Hand zu nehmen. Der Körper reagierte bei allen gleich. Jeder, der zum ersten Mal Heroin nahm, musste sich übergeben. Beim zweiten und dritten Mal wurde es langsam besser. Sobald sich der Körper an das Heroin gewöhnt hatte, fing es an schön zu werden, und spätestens dann war es zu spät, um aufzuhören. Stephan war zu abgeschreckt, um weiter zu machen. Er sagte Kevin seine Meinung, auf eine Art, wie er es immer tat. Er habe es probiert, er habe gemerkt, dass es scheiße war und er würde sofort damit aufhören. Keine Diskussionen, kein Gerede, jetzt und hier würde er aufhören, und wenn Kevin weiter machen würde, täte er das auf eigene Verantwortung. Kevin war ein loses Bündel Chaos, ohne das geringste Vertrauen in das eigene Handeln und ohne jedes Gefühl für "genug". Kevin war falsch abgebogen und schon außer Sichtweite. Er war so schnell, dass ihn keiner mehr erreichen konnte, und wenn sie ihn riefen, dann hörte er nur noch ein Raunen, das von so weit weg zu kommen schien, dass es sich nicht einmal mehr lohnte, die Augen zu öffnen. Was den Rausch anging, war Heroin anders, als alles, was er bis jetzt genommen hatte.
H war ein fester Griff, eine starke Hand, die von ganz unten kam und die ihn hinabzog in einen Strudel aus lauwarmer Gleichgültigkeit und flauschiger Lethargie. Heftig angezogen, von einem Magneten aus schwarzem Samt, sank er tiefer und tiefer in seinen Kuschelsarg Nr. 28. Als er sich schließlich aufgelöst hatte und willenlos davontrieb, verlor er alles, was er jemals besaß, einschließlich der Fähigkeit, sich die Schuhe zuzubinden.
Zunächst hielt sich Kevins Konsum in Grenzen. Das Tätowieren brachte ihm viel Kohle ein, und das Gramm kostete 80 Mark. Kein Grund zur Aufregung also, wenn man ihm glauben konnte. Moni wusste am Anfang nichts davon. Kevin war bemüht, seine beginnende Sucht vor ihr und vor der Band zu verheimlichen, aber lange konnte ihm das nicht gelingen. Moni bemerkte eine positive Veränderung in Kevins Verhalten. Seit kurzer Zeit wirkte er ruhig und friedlich, fast ausgeglichen. Sein paranoides Gequatsche hatte aufgehört, und er schien auch nicht mehr auf jeden Menschen loszugehen, um ihm den Schädel einzuschlagen. Dass dieser Wandel mit seiner Heroinsucht zu tun haben könnte, daran wollte Moni lieber nicht denken.

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