Donnerstag, 4. August 2011

Die Geschichte Teil 27

1988
Die Band war der wichtigste Inhalt im Leben der Musiker. Hier fanden sie den Zusammenhalt und den Antrieb, den sie sonst wahrscheinlich nach dem ausstieg aus der Skinheadszene verloren hätten. "Böhse Onkelz" war etwas, was ihnen Verantwortung brachte, die jeder der Vier gewillt war zu tragen. Eine Existens außerhalb der langweiligen Norm, unabhängig von Regeln, Uniformierungen und Routinen. Ihre Rebellion hatte sich auf einen Kern von vier Personen verdichtet. Stephan hatte fast alle Texte geschrieben und zum größten Teil die Musik komponiert. Außerdem kassierte er Onkelzgeld und investierte es in Merchandising-Produkte der Band. T-Shirts, Poster und Autogrammkarten, die per Nachnahme an die Fans verschickt wurden. Solche Arbeiten erledigte Stephan nebenbei, neben seinem regulären Job als Fahrer und neben seiner kreativen Arbeit für die Band. Obwohl jeder einzelne Onkel seinen festen Platz hatte und als absolut unersetzbar galt, war Stephan der Anfang und das Ende. Die Böhsen Onkelz stiegen und fielen mit ihm und seinem Engagement. Stephan liebte diese Verantwortung. Er war auch derjenige, der alles abcheckte. Er hatte die Verbindungen zu Egoldt, zu Lotzi und schließlich zu Nowotny geknüpft. Er hatte die Vertragsverhandlungen mit Lotzi und Nowotny geführt und die Bedingungen gestellt. Auf einen einfachen Künstlervertrag über drei Studioalben hatte man sich schließlich geeinigt. Die Rechte an den Songs würden, wie üblich, bis auf Lebzeiten bei der Plattenfirma, in diesem Falle bei Metal Enterprise bleiben. Dieser Vertrag war am 24.12.1987 unterzeichnet worden.
Stephan Weidner, der große Priester des Profanen. Er wuchs mit der Band. Das war eine Entwicklung, die die Fans mitmachen konnten. Vorausgesetzt, sie verfügten über ein Mindestmaß an ähnlichen Erfahrungen. Die Texte waren meistens in der ersten Person Singular geschrieben und beliebig interpretierbar, so dass jeder, der die Songs hörte, sich unweigerlich seinen eigenen Reim darauf machte oder die Inhalte mit persönlichen Erfahrungen verknüpfte. Wie alle anderen Alben der Böhsen Onkelz, setzte sich auch das 88er Album "Kneipenterroristen" aus Erlebtem und Erfahrenem zusammen.

Die 28 war der Ort, an dem die Onkelz am lautesten lachten. Ihre Verbundenheit und ihre verschworene Gemeinschaft, die für Außenstehende kaum zu begreifen war, ging soweit, das sich Trimmi und Stephan die Zahl 28 auf die Innenseite ihrer Unterlippen tätowierten. Ironischerweise war die 28 aber auch der traurigste Ort, den sie jemals aufgesucht hatten. Der Ort, wo sie den Rausch suchten, nur um größtes Leid zu erfahren. Stephan und Gonzo komponierten eine instrumentale Vision, ein musikalisches Foto der klassischen 28-Situation, das genau die erlebte Stimmung wiedergeben sollte. Worte waren in diesem Fall nicht wichtig, dieses Gefühl war nur in ihren Köpfen, und niemand, der nicht in der 28 dabei gewesen war, würde es jemals verstehen. Webersrtaße 28, die Kapelle der Gefahren. "28" das Lied, eine bittere Pille.
Gonzos hoffnungsvolle, aber schwermütige Gibson klagte die Tonleitern rauf und runter, während Mysto-Schwaden und astrales Geschnatter den Raum zwischen den Noten mit Paranoia anfüllten, und nur langsam, dort, wo das peitschende Schlagzeug und der böse Bass einsetzten, wurde es klar, dass die 28 der Einstieg in die Hölle war, die glitschige Treppe in den Keller. Dort, wo Kevin in den Alptraum abglitt, dort, wo er das Scheitern und den Schmerz suchte, dort stand Stephan im Gegenwind und schwang seinen Bass gegen die Fluten eines blutigen Horrortrips. Auf Stephan Weidner war Verlass. Wenn es um Freunde oder Familie ging, war er die Loyalität in Person, mit einem Rückgrat aus Stahl. Er würde niemals weichen, komme was da wolle. Wenn sie "drauf" waren, führten Kevin und Stephan ihre Freunde gerne bis an die Pforte einer dunkleren Welt, und dort, wo Kevin sich weit hinauslehnte und darauf hoffte, dass ihn endlich jemand über die Schwelle schubste, dort sprach Stephan unbeschwert von Hoffnung, dort wuchsen ihm Hörner des Trotzes und dort lachte er, als wäre er auf einem Kindergeburtstag. Die 28, das Lied und der Rausch.
 Von den Mysto-Schwaden geführt, blindlings durch den Keller stolpernd, strebten sie am Ende des Stückes einem strahlenden Furioso entgegen. Gonzo und sein klagendes Thema überschlugen sich in rasendem Aufstieg und in taumelnder Euphorie, so wie ein Rabe, der fliegend dem Waldbrand entkam. Mit dem Stück "28" wurde der Ort zu einem Bild, einem kurzen Moment, der Zeit ließ für die erschrockene Betrachtung . . .

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