Donnerstag, 23. Februar 2012

Die Geschichte - Teil 56

Kevins Zustand hatte sich bis Ende 93 noch verschlimmert. Er war jetzt ein Fixer im Endstadium. An eine Tournee war nicht zu denken. Manchmal trank er kurz vor einem Auftritt eine halbe Flasche Jack Daniels auf ex und verschwand Blut kotzend auf dem Klo. Auf der Bühne lief er während dieser Zeit immer im Kreis. Stephan, Moni und Kevins Schwester brachten ihn schließlich in eine Asi-Klinik nach Köppern. Das war die letzte Station für alle Härtefälle. Hierher kamen alle Fixer, die soweit unten waren, dass man ständig mit ihrem Tod rechnen musste. Als Kevin auch hier nicht klar kam, nahm Stephan ihn mit zu sich nach Kelkheim und sperrte ihn in ein Zimmer im Keller ein. Eigentlich hatte niemand mehr Bock auf Kevin. Stephan tat es, weil er es tun musste, er konnte ihn nicht einfach verrecken lassen. Es ging hier um Kevin Russell, um seinen "besten" Freund. Durchgeknalltester Tätowierer Frankfurts und Vorzeigerüpel der Nation. Stephan sprang über seinen Schatten, während Gonzo und Pe sich ihrem ganz persönlichen Privatleben widmeten. Seit Trimmis Tod und seit Kevins Absturz hatte sich die private Situation zwischen Gonzo, Pe und Kevin immer mehr verschlechtert. Von wirklicher Freundschaft konnte man kaum noch sprechen.
In Weidners Keller wurde sich Kevin schon nach ein paar Stunden über einige Dinge klar. Bei Stephan zu entziehen, hieß Entzug ohne Gnade. Stephan würde ihn nicht wieder raus lassen, ehe er nicht clean wäre. Jeden Tag brachte Stephan ihm Essen und wechselte die Bettwäsche. Ein Mensch, der noch nie einen Fixer beim Entzug gesehen hatte, konnte sich nicht vorstellen, was der alles ausschwitzte und ausschied. Die inneren Organe waren stark in Mitleidenschaft gezogen und weder der Magen, noch der Verdauungstrakt arbeiteten so, wie sie es sollten. Auf stundenlanges Zittern und Zähneklappern unter Schreien und Wahnvorstellungen, folgten Schmerzkrämpfe, Brechreiz und Durchfall. Dieser Zustand zog sich über Tage hin. Es gab Stunden, in denen schrie er sich die Seele aus dem Leib und es gab solche, in denen er still vor sich hin wimmerte. Der Weg aus der Hölle zurück ins Licht war lang. Nach diesem letzten Entzug raufte sich die Band noch einmal zusammen. Sie schnappten sich ihren Sänger und fuhren mit ihm nach Dänemark an den Strand. Für eine Woche war es wieder so, wie es vor Trimmis Tod gewesen war. Onkelz unter sich, ein Kreis, den niemand sprengen konnte. Geschichten, die nur sie kannten, Witze, die nur sie verstanden. Eine Woche lang war alles bestens. Um Kevin den Ernst der Situation verständlich zu machen, setzten sie ihre Forderungen schriftlich auf und drückten sie ihm in die Hand. Die Kernaussage dieses Memos war : "Ein Ding noch und du bist endgültig draußen." Auch hatte er den Fans gegenüber eine Verantwortung, auf die ihn die Band mehrfach hinwies. Alle Onkelzfans, ob alt oder jung, waren mit ihnen ein Stück durch die Kloake gegangen, all diese Leute durfte er nicht hängen lassen. Die Böhsen Onkelz, so sagte Stephan immer wieder, hätten das Potential, eine ganz große Band zu werden. Sie hatten schon jetzt soviel erreicht und bewegt, warum sollte ma den Weg nicht bis zum Ende gehen ? Kevin war die Stimme der Onkelz, seit der ersten Session im Hösbacher Keller, als er in das Tischmikro gebrüllt und Pe wie besessen auf den alten Kunstledersessel eingeprügelt hatte. Ohne Kevin gäbe es keine Böhsen Onkelz. Und auch nicht ohne Pe, Gonzo oder Stephan. Onkelz waren Onkelz, die fantastischen Vier, die Bruderschaft des Schmerzes, Geheimbund des Widerstandes, gnadenlos dagegen. Kevin musste leben.

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